Irmgard & Ortrud:
Mädchen gegen Generäle!
NEIN zu falschen Helden!

Ein Liebesbrief

Liebe Irmgard, liebe Ortrud,

ich wohne jetzt seit 25 Jahren in Essen, zuerst in Bergerhausen und jetzt schon lange in Beisen. Ich habe nie länger in einer anderen Stadt gelebt, auch nicht in meiner eigentlichen Heimatstadt Mönchengladbach, und so ist Essen in den 25 Jahren zu so etwas wie meiner zweiten Heimat geworden. Schon ganz zu Beginn, als ich noch im Walpurgistal wohnte, für mich also schon immer, war die Von-Einem-Straße in Rüttenscheid die Von-Einem-Straße, und die Von-Seeckt-Straße gleich daneben die Von-Seeckt-Straße. In Rüttenscheid wimmelt es ja von Frauennamen, was die Straßen angeht, und wenn dann mal eine oder zwei aus der Art schlagen, dann improvisiert sich der unbedarfte Neuankömmling gleich sowas zurecht, wie: „Naja, das werden ein paar Kumpels vom ollen Krupp sein. Ein Bergbauingenieur hier und ein findiger Techniker dort?!“. Na, so habe ich das jedenfalls gemacht.

Vor ein paar Tagen hat mir ein Kollege einen kleinen Zettel in die Hand gedrückt. Vielleicht kennt er meinen Hang, gutklingende Erklärungen wohlwollend anzunehmen. Vermutlich weiß er, dass ich manchen Dingen dann doch gerne auf den Grund gehe. Und ganz sicher weiß er, mit was für einem Männerschlag ich meine Probleme habe.

Auf dem Zettel stand, dass die beiden Straßen nicht deshalb so heißen, weil die Beiden klugen Geistes gewesen wären oder ihr Leben dem Mäzenatentum verschrieben hätten. Nein, da stand, dass Karl von Einem und Hans von Seeckt zwei von diesen Generälen waren, die antidemokratisch dachten und handelten, die mit ihrem Handeln dazu beitrugen, ganz Europa und mehr in Verfall und Chaos zu stürzen, und bei deren Anblick man unwillkürlich an Phallussymbole und Pickelhauben, an zackigen Gang und eine straffe Lebensart denkt. Google.de half mir, mein Bild von den Beiden zu vervollständigen, und es hat mich erschreckt.

Es passt irgendwie zu Essen, dass diese beiden Gesellen immer noch die Ehre haben, zwei Straßen ihre Namen zu geben. Ja, so etwas passt zu Essen, denn noch heute (beziehungsweise seit 1961 und 2006) befindet sich das Alfred-Krupp-Denkmal an der Marktkirche, eine Bronzestatue mit der Inschrift „Die dankbare Vaterstadt“. Eine Vaterstadt, die am Ende des Zweiten Weltkrieges dankbar in Schutt und Asche lag.

Liebe Irmgard, liebe Ortrud, 1937 hat man Euch aus der Stadt geworfen. Dabei hätte ich Eure Namen lieber wieder im Straßenverzeichnis, als die der beiden Generäle mit ihrer Blut-, Pferdeschweiß- und Kanonenmentalität. Und ich würde mich sehr freuen, Euch kennen zu lernen und mehr von Euch zu erfahren! Ein bisschen weiß ich schon: Ortrud spielt bei Richard Wagners Lohengrin mit, und nach ihr ist ein Asteroid (eine Asteroidin?) des Hauptgürtels benannt.

Bis bald?
Euer Tom